Wilhelm Heinrich Schaffner

* 22. Oktober 1830 Darmstadt
† 24. März 1882 San Luis Potosí (Mexiko)

von Sylvain Hodvina

Wilhelm Heinrich Schaffner wurde als 12. und jüngstes Kind des Spezerei- und Lederhändlers Johann Jacob Schaffner (* 30. Dezember 1777 Darmstadt, † 11. Juni 1843 Darmstadt) und dessen Ehefrau Catharina Achen (* 23. Februar 1796 Darmstadt, † 21. Februar 1845 Darmstadt) geboren. Nur sein Bruder Johann Paul (1823‒xx) und seine Schwester Catharina Louise Sophie (1825‒1903) überlebten die Kindheit, die übrigen Geschwister wurden totgeboren oder starben im Alter weniger Wochen bis weniger Jahre. Nachdem er bereits 1845 zur Vollwaise geworden war, dürfte er fortan im Haushalt seines älteren Bruders, der als Kaufmann im elterlichen Haus in Darmstadt wohnte, gelebt haben.

Die Schulzeit in Darmstadt führte ihn nach der Realschule zu Ostern 1845 auf die Höhere Gewerbeschule, den Vorläufer der 1869 gegründeten Polytechnischen Schule, aus der später (1877) die Technische Hochschule hervorging. Bis Ostern 1847 besuchte Wilhelm Schaffner die beiden allgemeinen Klassen, die Zensurbücher weisen ihn als guten Schüler aus. Georg Friedrich Schnittspahn (1810‒1865) unterrichtete ihn in Botanik und Zoologie. Im Sommersemester 1848 war er als Gasthörer für Chemie eingeschrieben. Zu dieser Zeit muß er bereits eine Apothekerlehre begonnen haben, es ließ sich jedoch nicht ermitteln, wann diese begann und endete. Nach einer Notiz bei Lichinger (1864‒1931) war Wilhelm Schaffner ein Schüler des Pächters der Darmstädter Hofapotheke, Hermann Julius Theodor Martiny (1807‒1873), einem der fünf Darmstädter Apotheker.

Handschrift Wilhelm Schaffner, Beleg aus WIES Schon früh ist eine intensive Beschäftigung mit der Botanik festzustellen. Wilhelm Schaffner muß auch den Kontakt zu anderen Botanikern gesucht haben, denn schon 1848 wird er als Sammler in dem von Friedrich Wilhelm Schultz (1804‒1876) herausgegebenen „Herbarium normale“ mit einem bei Dornheim gesammelten Beleg von Gratiola officinalis genannt. Ernst Berger (1814‒1853) von der Pflanzenverkaufs-Anstalt in Sickershausen bei Kitzingen nennt ihn ein „eifriges Mitglied“. Ein im Oktober 1848 bei Darmstadt gesammeltes Corispermum hyssopifolium wird von dem Heidelberger Professor und Direktor des botanischen Gartens Gottlieb Wilhelm Bischoff (1797‒1854) als Varietät membranaceum bestimmt (Beleg in WIES). Die von Berger 1850 als Exsiccat ausgegebenen Pflanzen veranlassen den Darmstädter Professor (an der Höheren Gewerbeschule) und Direktor des botanische Gartens Georg Friedrich Schnittspahn (1810‒1865) zu einer Richtigstellung in der „Flora“: das Vorkommen beruhte auf 1843 von Schnittspahn ausgesätem Corispermum hyssopifolium.

Wie umfangreich die Sammeltätigkeit und der Tausch gewesen sind, zeigt die 1856 von Schnittspahn in der „Flora“ veröffentlichte Verkaufsanzeige für das „aus circa acht- bis zehntausend Arten bestehende Herbarium“ Schaffners. In der 1853 erschienenen dritten Auflage seiner „Flora der Gefässe-Pflanzen des Grossherzogthums Hessen“ wird Wilhelm Schaffner gedankt für das „rastlose Bestreben bei Durchforschung unseres engeren Vaterlandes in botanischer Beziehung“.

Zu dieser Zeit befand sich Wilhelm Schaffner schon mehrere Jahre in Mexiko, wohin er im Spätherbst 1849 ausgewandert war. Nach Franz Georg Philipp Buchenau (1831‒1906), der 1886 die erste biographische Mitteilung zu Johann [!] Wilhelm Schaffner verfaßte, soll der Anstoß zur Auswanderung durch Vorträge des aus Gundernhausen stammenden Carl Christian Wilhelm Sartorius (1796‒1872) erfolgt sein. Dieser war 1824 nach Mexiko ausgewandert und hielt zwischen 1849 und 1852 bei einem längeren Besuch in Darmstadt naturwissenschaftliche Vorlesungen über seine neue Heimat. Auch hier beschäftigte sich Wilhelm Schaffner ‒ neben seiner Tätigkeit als Apotheker ‒ intensiv mit der Botanik, sammelte reichlich und sandte seine Belege an viele Botaniker in Europa. So dienen seine Aufsammlungen von Farnen aus den verschiedensten Gegenden Mexikos zur Vervollständigung der „Flora of North Western Mexico“ von Berthold Carl Seemann (1825‒1871). Umfangreiche Pflanzen-Sendungen erhalten auch William Jackson Hooker (1785‒1865), Direktor des Königlichen Botanischen Gartens in Kew, der französische Farn-Spezialist Antoine Laurent Apollinaire Fée (1789‒1874) und der Pfälzer Botaniker Carl Heinrich Schultz „Bipontius“ (1805‒1867), Gründer und Direktor der POLLICHIA („zwei Kisten mit 380 Pfund“). Von der POLLICHIA wird er zum Ehrenmitglied ernannt (Anonymus 1856). Einem Bericht des französischen Pharmazeuten Guibourt (1790‒1867) zufolge schickte Wilhelm Schaffner schon im Jahre 1851 eine Sammlung mexikanischer Naturalien an den Besitzer der Darmstädter Engelapotheke, Heinrich Emanuel Merck (1794‒1855). Nach Anfangsjahren in Mexiko-Stadt und Orizaba läßt sich Wilhelm Schaffner in Culiacán [nicht Euliacan wie Buchenau und alle anderen] an der Pazifikküste gegenüber Baja California als Apotheker nieder.

Im Frühjahr 1867 kommt Wilhelm Schaffner nach Deutschland zurück und beginnt im Oktober 1867 ein Medizinstudium in Heidelberg; in den Matrikeln erscheint er als J. Wilhelm Schaffner. Das Studium schließt er am 15. Juni 1871 mit der Promotion ab. Nach Buchenau (1886) soll er bis 1874 auch in München und Wien studiert haben, in den Münchner Matrikeln ist er aber nicht erwähnt. Nach Belegen in WIES hielt er sich im Sommer 1873 in Zabern (heute: Saverne im Elsass) und im Herbst 1874 in Darmstadt auf.

Im Oktober 1874 reist Wilhelm Schaffner erneut nach Mexiko, zunächst nach Veracruz am Atlantik, dann wieder nach Mexiko-Stadt, wo er im Januar 1875 die mexikanische Staatsangehörigkeit erhält. Im November 1875 übersiedelt er schließlich nach San Luis Potosí im zentralmexikanischen Hochland, wo er Arzt und Apotheker ist. An Arme gibt er Rezepte kostenlos ab, nach einer brieflichen Mitteilung an Anton Vigener (Wiesbaden) bis zum Herbst 1881 mehr als 32000.

Nach seiner Rückkehr nach Mexiko wendet sich Wilhelm Schaffner auch wieder der mexikanischen Pflanzenwelt zu und botanisiert intensiv in der Umgebung von San Luis Potosí. Inzwischen hatte er seinen Namen spanisiert und nannte sich fortan José Guillermo Schaffner; auf den Herbarscheden steht nun Dr. J. G. Schaffner. Zahlreiche Pflanzensendungen schickt er auch an Asa Gray (1810‒1888) in Harvard. William Botting Hemsley (1843‒1924) in Kew nennt ihn einen ausgezeichneten Sammler und einen guten Botaniker, der jedoch mangels der unentbehrlichen botanischen Literatur nicht in der Lage war zu erkennen, ob er eine Neuheit vor sich hatte oder eine bereits zuvor beschriebene Art. Für Verdruss und Ärger sorgte, dass bei tatsächlich neuen Pflanzenarten die von ihm vergebenen Manuskriptnamen von den europäischen Botanikern ignoriert wurden.

Am 24. März 1882 verstirbt Schaffner im Alter von nur 51 Jahren an den Folgen einer Typhusinfektion in San Luis Potosí (Buchenau nennt als Todesdatum den 22. März 1882). Zum Gedenken an den verdienstvollen Arzt soll nach Buchenau (1886), der sich auf eine briefliche Mitteilung eines in San Luis Potosí lebenden Deutschen bezieht, ein Marmordenkmal für Wilhelm Schaffner errichtet worden sein. Nachfragen bei der Stadtverwaltung und der Universität ergaben, dass über das Denkmal selbst und seinen Verbleib nichts bekannt ist. Schaffners botanische Hinterlassenschaft gelangte an den Wiesbadener Apotheker und Botaniker Anton Vigener (1840‒1921). Da die Sammlungen offenbar durcheinander geraten waren, wurden sie von Vigener neu geordnet und auch neu etikettiert, bevor sie in den Handel kamen.

Das botanische Autorenkürzel lautet „W. Schaffn.“.

Sammlungen Schaffners befinden sich in: A, BM, C, CAS, COLU, CORD, E, F, GH, GOET, K, KIEL, L, M, MEXU, MICH, MW, NY, P, PH, S, SLPM, US, W, WRSL.
Belege aus der Umgebung Darmstadts, gesammelt bis Herbst 1849, liegen in B, HAL, JE, M, MB, POLL, STU, WIES.

Nach Schaffner benannte Pflanzengattungen:
Schaffnera Benth. 1881, J. Linn. Soc., Bot. 19, 63.
Schaffneria Fée ex T.Moore 1857, Index Fil. LIII.
Schaffnerella Nash 1912, N. Amer. Fl. 17(2), 141.

Nach Schaffner benannte Pflanzenarten (nur die ältesten):
Cranichis schaffnerii Rchb. fil. 1855, Bonplandia 3, 237.
Crantzia schaffneriana Schltdl. 1853, Linnaea 26, 370.
Mariscus schaffnerianus Schltdl. 1853, Linanea 26, 379.
Trichomanes schaffneri Schltdl. 1853, Linnaea 26, 368.

Publikationen:
  • Schaffner [W. H.] 1850: Kleinere Mittheilungen (Crypsis alopecuroides, ein Beitrag zur Flora hassiaca). ‒ Flora 33, 640, Regensburg.

Publikationen über Wilhelm Schaffner:
  • Anonymus 1867: Vermischte Nachrichten (Dürkheim, 1. Sept. Herr Wilhelm Schaffner aus Darmstadt, welcher als Pharmaceut 17 Jahre in Mexico lebte und das schöne demoralisirte Land eifrigst durchforschte ist dieses Frühjahr zurückgekehrt, um in Heidelberg Medicin zu studiren. Der Pollichia, welche ihm so Vieles verdankt, hat er eine Sammlung mexicanischer Droguen geschenkt, welche in der Generalversammlung der Pollichia am 4. Sept. vorgezeigt und vom Director der Gesellschaft zum Theil erläutert werden). ‒ Pfälzer Zeitung Nr. 205, Speyer.
  • Anonymus 1882: Personalnachrichten (Am 24. März 1882 starb in San Luis Potosi (Mexico) Dr. Wilhelm Schaffner, hochgeachtetet deutscher Arzt daselbst, geboren 1830 zu Darmstadt). ‒ Leopoldina 18, 157, Wien.
  • Buchenau F. 1886: Die Juncaceen aus Mittelamerika. ‒ Flora 69, 145‒155, Regensburg.
  • Guibourt N. S. B. G. 1867: Ueber einige Producte Mexicos. ‒ Neues Repert. Pharm. 16(4), 225‒241, München.
  • Hemsley, W. B. 1888: A sketch of the history of the botanical exploration of Mexico and Central America. ‒ Biol. centrali-americana, Botany 4, 118‒137, London.
  • Rzedowski J. 1959: Las colecciones botanicas de Wilhelm (Jose Guillermo) Schaffner en San Luis Potosí I. ‒ Acta Cient. Potosina 3(1), 99‒121, San Luis Potosí.
  • Schnittspahn [G. F.] 1856: Anzeigen [Das aus circa acht- bis zehntausend Arten bestehende Herbarium ...]. ‒ Flora 39, 255, Regensburg.
  • Schwarz [H.-D.] 1997: Schaffner, Johann Wilhelm. ‒ In: Hein W.-H. & H.-D. Schwarz (Hrsg.): Deutsche Apotheker-Biographie, Ergänzungsband 2, 266‒267, Wissenschaftl. Verlagsges. Stuttgart.
  • Wagenitz G. 1982: Index Collectorum principalium Herbarii Gottingensis [Seite 144: Schaffner, Johann Wilhelm]. ‒ Systematisch-Geobotanisches Institut der Georg-August-Universität Göttingen, Göttingen. 214 Seiten.
Quellen:
Anonymus 1849: Die Sammlungen des Vereins (von Herrn pharmaciae cand. Schaffner aus Darmstadt, aus der Flora Darmstadt's 150 Arten). ‒ Pollichia 7, 7, Speyer.
Anonymus 1856: Die Mitglieder des Vereins (Zu Ehrenmitgliedern wurden ernannt ... Wilh. Schaffner, Pharmaceut in Mexico). ‒ Pollichia 14, 9, Neustadt a/H.
Anonymus 1868: Matrikel Heidelberg, Wintersemester 1867/68: Oktober 1867, Nr. 130 J. Wilhelm Schaffner, 37 Jahre, geboren in Darmstadt, V: Kaufmann, Da +; ev; Medizin. [http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/digi/unihdmatrikel.html].
Anonymus 1871: Chronik der Universität Heidelberg für das Jahr 1871 (Es fanden im Laufe des Jahres die folgenden Promotionen statt: In der medicinischen Facultät ... am 15. Juni: J. Wilhelm Schaffner). ‒ Heidelbergische Jahrb. Litteratur 64, 963, Heidelberg.
Berger E. 1850: Drittes Verzeichnis der Pflanzenverkaufs-Anstalt von Ernst Berger in Sickenhausen bei Kitzingen a. M. ‒ Flora 33, 154‒160, Regensburg.
Grossherzogliche Technische Hochschule zu Darmstadt 1885: Adressen-Verzeichniss der ehemaligen Studirenden der höheren Gewerbeschule, der technischen Schule, sowie der polytechnischen Schule, bezw. technischen Hochschule zu Darmstadt. ‒ Darmstadt, 88 Seiten. [Seite 64, Nr. 2140].
Lichinger F. 1889: Die officinellen Croton- und Diosmeenrinden der Sammlung des Dorpater pharmaceutischen Institutes. ‒ Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades eines Magisters der Pharmacie, Universität Dorpat. 52 Seiten.
Schnittspahn [G. F.] 1851: Berichtigung. ‒ Flora 34, 656, Regensburg.
Schnittspahn G. F. 1853: Flora der Gefässe-Pflanzen des Grossherzogthums Hessen. ‒ Johann Philipp Diehl, Darmstadt. LXXV + 359 Seiten.
Smith J. 1857: Filices. In: B. Seeman 1852‒58: The Botany of the Voyage of H. M. S. Herald, under the command of Captain Henry Kellett, R. N., C. B., during the years 1845‒51, 337‒345. ‒ Reeve, London.
Stafleu F. A: & R. S. Cowan 1985: Taxonomic literature. A selective guide to botanical publications and collections with dates, commentaries and types 5, Sal‒Ste. Ed. 2. ‒ Bohn, Scheltema & Holkema, Utrecht/Antwerpen; dr. W. Junk, The Hague/Boston. 1066 Seiten.
Technische Universität Darmstadt 2014: Matrikel und Zensurbücher (1843‒1847). [http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/tua-MaZe-Kiii-3/0169 und http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/tua-MaZe-Kii-2/0190]

Kirchenbucharchiv EKHN Darmstadt, Mikrofilme Darmstadt lutherisch.

Handschrift: Wilhelm Heinrich Schaffner, Beleg aus WIES

© BVNH 10. Juli 2014